„Wenn ein Teil der Hüfte abstirbt“ – Interview mit Prof. Thorey
Hallo Prof. Thorey, Sie sind Orthopäde und beschäftigen sich mit schmerzhaften Erkrankungen des Hüftgelenkes. Dazu zählt auch die sogenannte Hüftkopfnekrose – man sagt, es handelt sich dabei um eine heimliche Volkskrankheit, von der wir leider noch nicht viel wissen. Stimmt das?
Prof. Thorey: Ja, die Hüftkopfnekrose ist noch nicht allzu sehr bekannt, betrifft aber verhältnismäßig viele Menschen, vor allem Männer zwischen dem 35. und 45. Lebensalter. Allein in Deutschland erkranken jährlich 5.000 – 7.000 Menschen daran. Eine Hüftkopfnekrose beschreibt das allmähliche Absterben von Knorpel- und Knochengewebe im Hüftgelenk. Nekrose ist die medizinische Bezeichnung für „Absterben“.
Und wo genau sitzt der Hüftkopf?
Prof. Thorey: Werfen wir einen Blick auf die Anatomie des Hüftgelenkes: Es handelt sich um ein sogenanntes Kugelgelenk. Der Hüftkopf ist kugelartig und bildet dabei das obere Ende des Oberschenkelknochens (Femur), weshalb er auch Femurkopf bezeichnet wird. Aufgrund seiner Form gleitet er in der Hüftpfanne und ermöglicht die Beweglichkeit des Gelenkes. Was man auf dem Bild vielleicht nicht sieht, ist die kleine Vertiefung am Ende des Hüftkopfes. Hier verlaufen ein Band und eine Arterie, welche für die Versorgung des Hüftkopfes sorgen. Kommt es allerdings zu einer Durchblutungsstörung, kann der Knorpel nicht mehr richtig mit Nährstoffen versorgt werden. Das Knochengewebe wird zerstört und stirbt im schlimmsten Fall ab.
Was sind die Gründe? Warum kommt es zu einer Minderdurchblutung?
Prof. Thorey: Das kann mehrere Gründe haben: Eine Nekrose am Hüftkopf kann auf Stoffwechsel- oder Bindegewebsstörungen zurückgeführt werden, auf rheumatische Erkrankungen, Infektionen, Anämien (Bluterkrankungen) oder auf Verletzungen der Hüftkopfgefäße. Der übermäßige Gebrauch von Kortison, aber auch der vermehrte Konsum von Alkohol und Nikotin können diese schwere Knochenerkrankung begünstigen.
Was sind typische Symptome für eine Hüftkopfnekrose?
Prof. Thorey: Anfänglich bemerkt man ein leichtes Ziehen in der Leiste. Aber auch plötzliche Leistenschmerzen können auftreten. Es ist ein schleichender Prozess: die Schmerzen werden immer größer, während die Beweglichkeit des Hüftgelenks immer weiter eingeschränkt wird. Der Schmerz kann auch in benachbarte Regionen (Oberschenkel, Knie) ausstrahlen. Unbehandelt führt die Hüftkopfnekrose zu einem Einbrechen des Knochens und zu einer schweren Arthrose.
Woher weiß man, dass es sich um eine Hüftkopfnekrose und nicht etwa einen Leistenbruch handelt?
Prof. Thorey: Ein Leistenbruch (oder Hernie) kommt oft von Überlastungen, etwa durch Sport, starkes Husten oder schweres Heben. Man kann sie in der Regel ertasten, weil sich das Bauchfell sackartig nach außen wölbt. Die Schmerzen bei einer Nekrose sitzen tief in der Leiste.
Eine Hüftkopfnekrose ist auf Röntgen-, MRT (Kernspin) – und CT-Aufnahmen gut diagnostizierbar. Neben der Anamnese werden auch klinische Untersuchungen vor Ort vorgenommen, wie die Prüfung des Gangbildes, der Beweglichkeit, der Muskelkraft und die Lokalisierung der Schmerzzone. Schließlich lässt sich Hüftkopfnekrose in vier verschiedene Stadien einteilen. Davon hängt am Ende auch die Therapieform ab.
Was kann man tun gegen das Absterben des Gewebes im Hüftgelenk?
Prof. Thorey: Grundsätzlich kann man sagen: je früher man eine Hüftkopfnekrose bemerkt und medizinisch behandelt, desto größer ist der Heilungserfolg. Im Anfangsstadium lässt sie sich durchaus mit konservativen Therapien behandeln. Dazu zählen medikamentöse Therapien, spezielle physiotherapeutische Behandlungen oder die Anwendung von Orthesen.
Bei fortgeschrittener Nekrose sind Hüftkopf-Anbohrungen, genannt „Core Decompression“, für die Druckentlastung sinnvoll und auch Umstellungsosteotomien – also die Umstellung der Oberschenkelachse – können eine Verbesserung bewirken. Je nach Ausmaß und Zustand des Gelenkknorpels muss bei größerem Schaden über einen Gelenkersatz nachgedacht werden. Ein operativer Eingriff richtet sich immer nach dem Einzelfall! Wir schauen immer zunächst nach der Ursache für die Hüftkopfnekrose und versuchen das Gelenk so lange wie möglich zu erhalten.
Welches Implantat dafür infrage kommt und worauf bei einer Hüft-Endoprothese zu achten ist, wird in dieser aktuellen Studie von mir und meinen Fachkollegen diskutiert:
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